Donnerstag, 13. September 2018

Mitmischen

Ich schreibe Kinderbücher. Vornehmlich.
Aus einem mir immer noch nicht ganz ersichtlichen Grund wurde ich allerdings gefragt, ob ich mir ggf. vorstellen könnte, für eine (damals) neu geplante Zeitschrift für Männer zu schreiben. Vermutlich hielten sie mich für eine Expertin, weil Kinder und Männer Ähnlichkeiten aufweisen. Oder so.

Seitdem schreibe ich 4x im Jahr eine Kolummne für die MOVO.
Immer ein bisschen mit Augenzwinkern und Clown zum Frühstück.
Manchmal kriege ich dafür Applaus. Manchmal Haue.
Das muss so.

Als ich dann vor ein paar Wochen die längst überfällige neue Kolummne schreiben wollte, hatte ich einen Knoten im Hirn. In der Regel habe ich zu viele und nicht zu wenige Ideen. Aber diesmal ging nix. Dann ist der Knoten geplatzt. Und die Hutschnur. Und dass Fass übergelaufen. Und die lustige Kolummne wurde für dieses eine Mal nicht mit "ACHTUNG HUMOR!" überschrieben... Danke an die Redaktion! ;)



Und hier ist für alle Noch-nicht-MOVO-Leser der Artikel:



MISCHT MIT!

Dies ist (mindestens) die vierte Fassung. Normalerweise macht es KLICK und dann schreibe ich meine Texte und/oder Bücher einfach so runter. Ist so ne Flow-Sache. Ich konsumiere (außer Schokolade) keine bewusstseinserweiternden Substanzen. Aber wenn ich schreibe, komme ich in Rausch-ähnliche Zustände. Das fluppt dann einfach. 

Das gilt auch für die MOVO-Artikel.
Bis heute.
Heute fluppt leider gar nix. Das ist bereits die vierte Fassung.

Eigentlich soll es ja ein bisschen witzig sein. Mit Augenzwinkern. Geht einfach gerade gar nicht.
Ich habe mich in den letzten Wochen so unfassbar aufgeregt. 

Wiederholt und in Dauerschleife über die Nation in Übersee, die sich von einem narzisstischen Greis mit orangenem Haar von einem Misthaufen in den nächsten werfen lässt. Da zwischen uns ein gewaltiger Ozean liegt, rege ich mich gepflegt und auf Distanz auf. Ich verstehe zwar nicht, wie man sich so etwas bieten lassen kann, aber bitteschön. Das scheint so gewünscht. Oder zumindest toleriert.

Leider kann ich auf dem hohen Ross nicht sitzen bleiben. Denn hier in Europa scheinen plötzlich dieselben Charaktere wie (Spalt-)Pilze aus dem Boden zu schießen. Wo du hinguckst sind da Männer, die Politik auf Stammtischniveau versprechen. Die mit den einfachen Lösungen. Die, die endlich mal sagen, wie es wirklich ist. Und die vor allem auch ganz klar wissen wer das Problem ist. (Nicht etwa, wo das Problem überhaupt liegt...) Wir leben in einer Zeit, in der man wieder Stammtischparolen auf Wahlplakate druckt und Menschen finden es prima, weil, „das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen...!“.

Ich habe mich als Teenie im Geschichtsunterricht immer wieder gefragt, wie das hat kommen können. Mit dem Österreicher, der es als Maler zu nix gebracht hat und stattdessen anderweitig in die Geschichtsbücher einging. Wie konnten meine Großeltern diesem unsympathischen Kerl auf den Leim gehen? Wie konnte eine ganze Generation zu Mitläufern, Mitjublern und Mittätern werden?

Inzwischen glaube ich, dass wir die Generation sind, die in Deutschland erstmals wieder in der Gefahr steht, unseren Enkelkindern diese Fragen beantworten zu müssen. Wie kam es dazu, dass hunderte, ja tausende Leichname an die europäischen Strände gespült wurden? Wieso konnten sich die Staaten nicht absprechen, wer wie viele Menschen aufnimmt, um Verfolgten Schutz zu gewähren? Warum hat man denn ausgerechnet die Seenotretter ins Gefängnis gesperrt? Und wieso kamen diese ganzen Menschen eigentlich überhaupt nach Europa, wenn sie keiner haben wollte und es ja auch ganz schön gefährlich war? Wieso habt ihr denn Waffen geliefert, wenn hinterher Menschen davor fliehen mussten?


Wir sind uns vermutlich alle einig darin, dass es keine simplen Lösungen gibt. Dass man durchaus streiten muss. Was denn nun zu tun ist. Und klar, Armutsmigration und Flucht vor unaussprechlicher Gewalt muss man unterscheiden. Aber Menschen, die in Lebensgefahr sind, die muss man retten. Immer! Da ist moralisch nichts dran zu deuteln.

Dennoch haben wir in Europa plötzlich eine Stacheldrahtmentalität. Einen Innenminister, der sich schmunzelnd über Geburtstagsabschiebungen auslässt. Der sich groß und breit über sein Lieblingsthema auslässt - koste es was es wolle. Am selben Tag, an dem er die gesamte Regierung ins Wanken bringt, wird ein VIP aus seinem Wahlkreis verhaftet. Der AUDI-Chef muss wegen Verdunklungsgefahr in den Knast. Das war dem Minister nicht mal eine Randnotiz wert. Und genau hier liegt der Skandal: Wir haben echte Probleme. Genug davon.

Die deutsche Automobilbranche hat die Verbraucher nach allen Regeln der Kunst betrogen. Wir leben in einem der reichsten Länder der Erde und schaffen es nicht, unsere Alten und Kranken mit genügend Manpower zu betreuen und zu versorgen. An den Schulen herrscht Lehrermangel, in den Kitas findet man kein Personal mehr. Die Hebammen schmeißen alles hin, weil sie die horrenden Versicherungspolicen nicht mehr schultern können. Wohnraum wird für Geringverdiener immer knapper. Wir müssen über das Energieproblem sprechen. Über Müll, Abgase und Verschwendung. Über Zwangsprostitution und Sklaverei in unseren Städten.

Es gibt politisch ne Menge zu regeln.
Aber statt das anzugehen, blöken diese Herren ständig nur in einer einzigen Tonart. Es gibt scheinbar DIE eine Personengruppe, die für alles - aber wirklich auch ALLES - verantwortlich gemacht wird. Die Flüchtlinge. Gerne auch die Moslems. (Und Merkel. Danke, Merkel! Wobei, neuerdings ist auch Özil an allem Schuld)

Wir leben hier an der Schweizer Grenze. Ein wunderschönes Fleckchen Erde. Aber hier haben sich vor ziemlich genau 80 Jahren grauenhafte Dinge abgespielt. Flüchtende Juden wurden von den Schweizer Behörden aufgegriffen und mit der Begründung „Das Boot ist voll!“ wieder nach Deutschland, bzw. Österreich und damit in den sicheren Tod geschickt. Ja, es gibt Täter (das waren damals die Nazis) und es gibt Opfer. Aber es gab und gibt auch Handlanger, Zuschauer, Abnicker und Weggucker.
Zugegeben: Auf die Weltpolitik haben wir in der Regel nur in gewissen Wahlzyklen Einfluss. Wohl aber auf das alltägliche Miteinander. Auf die Art unserer Sprache. Auf den Fokus unserer Gespräche.

Ihr Männer habt hier in Deutschland an vielen Stellen mitzureden. Ihr besetzt die meisten Chefposten, gründet die meisten Firmen, sitzt auf den meisten Politikerstühlen, steht auf den meisten Kanzeln. Ihr verdient das meiste Geld. Ihr habt was zu melden! Bitte, bitte meldet euch auch!

Ich wünsche mir, dass die MOVO-Männer für die Hilflosen kämpfen. Den Sprachlosen eine Stimme sind. Ich wünsche mir, dass ihr die Finger in die eiternde Wunde der öffentlichen Meinung legt. Unbequem seid. Dem Stammtisch eure Meinung geigt. Mischt mit! Mischt auf! Seid der Sand im Getriebe! Zeigt euer Löwenherz! Seid Salz und Licht und Söhne des Allmächtigen! 


Herzlich,
Eure Claudia


P.S.: Ich weiß, dass wir Frauen da nicht ausgenommen sind. Und es gibt sowohl die populistischen Matronen, als auch die mutigen Gegen-den-Strom-Schwimmerinnen. Allerdings ist das ja eine Männerzeitschrift. Drum obiger Text. Und an alle Mit-Leserinnen: Empört euch! Rüttelt an den Festungen der Unmenschlichkeit! Macht einen Unterschied! Seid laut und frech und bleibt verletzlich!

MOVO 3/2018