Mittwoch, 13. Mai 2015

Streikerei

Ich bin nicht auf die Bahn angewiesen, denn ich kann zu meiner Arbeitsstelle radeln. In den seltesten Fällen brauche ich einen Piloten. Meine Kids sind aus dem Kindergartenalter raus. Allerdings bekomme und versende ich extrem gerne Briefe...

Insofern: Irgendwann trifft es mich dann doch. Diese Streikerei.

Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich schwer darunter leide. Denn meine Post kommt dann eben ein paar Tage später. Das passt schon.

Erstmals in meinem Leben soll/darf ich jetzt aber selbst streiken. Denn: Seit ein paar Wochen bin ich wieder als Erzieherin eingestiegen. Teilzeit-Erzieherin.


Das habe ich vor vielen Jahren mal gelernt. Satte 4 Jahre hat die Ausbildung gedauert. Als ich selbst Kinder bekam, hab ich mein Zertifikat eingetütet und war als Erzieherin quasi ausschließlich im Homeoffice tätig.

Dreizehn Jahre später bin ich jetzt also zurück in den Beruf gerutscht. Die Stellenausschreibung war aber auch gut: Erzieherin in Teilzeit - für das Mal-Atelier. Ich hab die Anzeige gelesen und dachte: "Hey, die suchen ja mich!"

Ich bin tatsächlich fast ausschließlich für das Kreative in der Einrichtung zuständig. Ich habe keine Gruppe zu leiten und muss keine Elterngespräche führen. Ich bin einfach da und biete Kleckserei-Matsch-Projekte an. Also so zum Beispiel. Das sind quasi die Sahnehäubchen im Erzieherdasein.

Mir geht es also wirklich prima. Klar, der Verdienst (zumal in Teilzeit) ist nicht die Wucht. Davon allein kann man keine großen Sprünge machen. Aber das wusste ich schon, bevor ich diese Ausbildung gemacht habe. Das weiß jeder, der in einen Beruf aus der sozialen Sparte einsteigt.
Warum also sollte ich mitstreiken? (Denn das tue ich nächste Woche...)

In erster Linie aus Solidarität zu meinen Koleginnen. Die haben nämlich, im Gegensatz zu mir, das auszubaden, was sich in Deutschland Bildungspolitik schimpft. Schickt die Kinder früh in Krippe, KiGa und Hort! Dort werden alle suuuper betreut! Ist viel besser als bloß daheim! Ach, und ihr als Eltern, könntet Ihr bitte so freundlich sein und derweil ein bissle was fürs Bruttosozialprodukt beitragen?

So haben wir jetzt einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Fein!
Darüber hinaus hat man einen sogenannten Orientierungsplan geschaffen. Das ist so was ähnliches wie der Lehrplan in der Schule. Da gehts lang! Da wollen wir hin! Das sollen die Kids drauf haben!

Was man leider verpennt hat, war die Tatsache, dass das alles nicht nur bedeutet, an den Kindergärten eine Krippe und an den Schulen einen Hort anzubauen. Nein, man hätte auch auf die Idee kommen können, dass mehr Kinder und mehr "Bildungsauftrag" plus zusätzliche Dokumentation für jedes Kind irgendwie nicht ganz aufgeht - wenn man dafür nicht auch mehr Erzieher einstellt. Oder die Kinderzahl pro Gruppe runterschraubt.

Meine Stelle (die mit dem Malatelier) ist nur deshalb entstanden, weil im Normalbetrieb mit 25 Kindern auf 2 Erzieherinnen an Klecksereien und Gematsche gar kein Gedanke mehr verschwendet werden kann. Denn jedes Kind bekommt heute ein Portfolio, wird einzeln beobachtet und seine Lern- und Entwicklungsschritte müssen nach einem bestimmten Schema dokumentiert werden. Für jedes Kind wird dann einmal im Jahr ein Elterngespräch geführt, um über eben diese Dokumentation zu informieren und mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Daraus entstehen u.U. auch Kooperationen mit Logopäden, Heilerziehern etc...


Wir sollen Inklusion leben. Aber möglichst ohne Schulung, ohne Reduzierung der Gruppenstärke oder sonst irgendeiner Hilfe.

Seit einiger Zeit gibt es Flüchtlingskinder in den Einrichtungen. Sie können unsere Sprache nicht, sind u.U. schwer traumatisiert und sollen einfach mal so in den Kindergarten gehen. Funktioniert leider nicht so gut, wenn man als KiTa-Team keinen Übersetzer, keinen Therapeuten, keinen Ansprechpartner für diese Thematik hat. Dafür mischen solche Kids den Alltag ordentlich auf. Diese Hilflosigkeit gegenüber dem Leid und diesen gebeutelten Kids ist nur schwer auszuhalten. Eigentlich müssten die den ganzen Tag einen Schoß oder wenigstens eine Hand für sich ganz alleine haben. Geht aber nicht. Weil Max ist gerade auf dem Klo und braucht Assistenz, Jacob hat eben der Jolie eine gepfeffert und eine Mutter steht im Türrahmen und würde gerne mal ganz kurz was abklären.


Im Nachbarkindergarten sind 2 Stellen seit Monaten vakant. In jeder Zeitung werden Erzieherinnen händeringend gesucht. Erzieher nochmal mehr! Viel zu wenige Frauen und fast keine Männer streben diesen Beruf überhaupt noch an.
Das treibt manchmal seltsame Blüten: LINK
Wer nix mehr zu verlieren hat, den schulen wir geschwind um: Zur Erzieherin!
Zwei Fliegen - eine (große) Klappe!

Ich streike also mit. 
Weil es so irgendwie nicht weitergeht. 
Weil sich die Perspektiven ändern müssen.

Statt für mehr Gehalt, würde ich lieber für kleinere Gruppen,
bessere Fortbildungsmaßnahmen,
intelligenteren Freizeitausgleich streiken.
Oder zumindest gegen das Basteltanten-Image!
Ich würde gerne dafür streiken, dass alle, die glauben, dass der Beruf doch nur so was wie Massenbabysitten ist, zu ner Woche Hospitation verdonnert werden.

Ich für meinen Teil würde also auf die Gehaltserhöhung lieber noch ein paar Jahre warten und stattdessen lieber mehr Leute einstellen. Aber mir leuchtet ein: Wenn wir wirklich wollen, dass solche Berufe wie die der Erzieher oder zum Beispiel Alten- und Krankenpfleger tatsächlich weiterhin von qualifiziertem Personal erlernt und ausgeübt werden, dann müssen wir diese auch entsprechend vergüten.




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