Mittwoch, 20. Mai 2015

Wann wollt ihr?

Heute wars dann soweit.
Meine erste Streikdemo.

Begann im Prinzip bereits gestern mit dem Wetterbericht: Regen, Böen und Kälte.
Also eher was für die Waldkindergarten-Erprobten.


Heute früh um Neune stehe ich mir mit einer Kollegin die Beine in den Bauch. Weil wir zwei Süßen nämlich kein Whatsapp haben... Dann hätten wir nämlich gewusst, dass wir uns erst um 11:00 Uhr hier einfinden müssten. Tja. Das hatte Ver.di gestern ganz vergessen mitzuteilen.

Dafür gab´s für alle Frühankommer und Nichtwhatsapper Kaffee und belegte Häppchen im Theatersaal. Ich bin in keiner Gewerkschaft, verzichte also für die Streiktage auf meinen Lohn. Ist so was wie unbezahlter Urlaub. Da freu ich mich doch über kostenloses Mineralwasser und Schnittchen. Nach dem dritten Häppchen trudelten weitere Kolleginnen ein, die ihr Handy leider beim Autofahren nicht angucken und somit erst nach der Parkplatzsuche über Whatsapp über die kleine Zeitplanänderung informiert waren. Haben wir also einfach mal 2 Stunden das Klischee von den kaffeetrinkenden Erzieherinnen knallhart erfüllt.

Dann sollten/mussten/durften wir uns in die Streiklisten eintragen. Die paarhundert Ladies und 5 Männer stellten sich also brav an den Listenstand an... Wieso man da nicht 10 Listen auslegt, sondern nur eine (später 2) ist mir schleierhaft. Aber vielleicht hatten die Ver.di-Leute das Bedürfnis, uns in den zwei Stündchen einfach gut zu beschäftigen.

Bis dahin waren mir die Leute mit den roten Kitteln nur etwas unorganisiert vorgekommen. Nicht so schlimm, das bin ich auch manchmal. Und es dient ja alles einem höheren Wert! LINK

Aber dann...
Dann haben die Trillerpfeifen ausgeteilt und Mülltüten zum Überstülpen (mit Atemloch, is klar).
Rote Fähnchen mit Ver.di-Logo und kleine Papierblümchen, mit nem Sprüchle drauf. Es gab Warnwesten und Banner und Luftballons. Alles rot und mit Logo aber ganz und gar ohne Inhalt. Hätte rein theoretisch auch ein Lokführer schwenken können.

Der Knüller war aber das Blatt Papier, welches jeder in die Hand bekam. "Auswendig lernen!" sagte die Frau mit dem roten Ver.di-Shirt.
Das war der Moment als mir klar wurde, dass das irgendwie für mich die falsche Veranstaltung ist.


Im ERNST??? Ich habe es wirklich erst für einen Scherz gehalten.
Wer hat sich DAS denn ausgedacht? Der Praktikant vom Praktikant?
Wann wollt ihr?
Das ist doch nicht einmal ein richtiger Satz!
Kinderschutz ist wichtig!
Da bin ich tatsächlich der gleichen Meinung. Aber was hat das mit den Erziehern zu tun?

Wird schon nicht so schlimm sein, hab ich gedacht.

"Das müssen wir jetzt wahrscheinlich nach jedem dritten Schritt aufsagen!", flüstert mir jemand zu. Ich lache, denn da wusste ich noch nicht, dass derjenige Recht behalten sollte. Wir sind noch nicht losgegangen, da trillern die Pfeifen, schallen die Megafone, donnert die Tommel und winken die Fahnen. Die ersten sympathisierenden Mütter ergreifen mit weinendem Nachwuchs die Flucht. Ich zerreiße ein Taschentuch und stopfe es in meine Ohren. Streikerprobte Kolleginnen zücken die Oropax-Döschen. Und dann geht es endlich los.

Und mit obigem Mantra laufen wir durch die leere Innenstadt und machen zwischendurch Krach.
Ich habe mich geweigert, mir eine Plastiktüte überstülpen zu lassen, schwenke keine Gewerkschaftsfahne und nehme die Trillerpfeife originalverpackt mit heim. Lediglich einen grünen Luftballon hab ich mir an die Tasche gebunden. Darauf steht: Ver.di.
Bei "Was wollt ihr?" antworte ich ab und zu mit: "Nach Hause!" Ansonsten folge ich stumm dem Fahnenmeer.

Dann eine Rede. Da steht jemand und sagt, er fände es schade, dass in der Presse dauernd nur davon die Rede ist, dass die Erzieher mehr Geld fordern. Das sei doch nicht die Hauptsache! Ich würde ihm gerne zurufen, dass die mit den roten Hemdchen doch genau dieses Mantra seit einer guten Stunde durch die Gassen rufen lassen! Aber ich habe mein Megafon zu Hause vergessen.
Als die zweite Rednerin das Wort ergreift und sich über die schlecht bezahlten Frauen in unserer Gesellschaft beklagt, verabschiede ich mich von meinem Team und verlasse das Spektakel. Während ich den grünen Luftballon fliegen lasse, fällt der Rednerin ein, dass ja auch Männer in unserem Beruf tätig sind. Und stellt euch vor: Die verdienen genauso wenig! Erschütternd! Da zieht diese "Wir-armen-Frauen-Karte" ja gar nicht.

Als ich um die nächste Häuserecke komme, ziehe ich mir endlich die Taschentuchpfropfen aus den Ohren. Und es fällt der erste Regen. Schade! denk ich mir. Ich wäre so gerne mit Leuten ins Gespräch gekommen. Darüber, was wirklich schief läuft in dieser Berufssparte. Über Sorgen und Nöte, Bedarf und Ideen. Ich hätte gerne Inhalte vermittelt und erarbeitet.

Vielleicht lag´s an Ver.di. Die sind nämlich eigentlich gar nicht die Erziehergewerkschaft. Das wäre die GEW. Tja, die haben sicher gerade woanders gestreikt. Und hoffentlich mit echten Inhalten.

Vielleicht liegt es auch einfach an mir. Diese Massenbewegungen sind mir eher suspekt. Etwas vom Zettel abzulesen und dann nach zu plappern ist nicht so mein Ding. Schon gar nicht, wenn mich der Inhalt nicht mal halbwegs abholt. Ein Schweigemarsch wäre mir lieber gewesen, als diese hohlen Phrasen immer und immer wieder zu wiederholen.

Von mir aus hätten wir auch einfach nur ein riesiges buntes Picknick auf dem Rathausplatz machen können. Genug Häppchen waren ja da. Vielleicht hätten wir uns ein bisschen austauschen, mit Passanten ins Gespräch kommen, den Bürgermeister zu ner Apfelsaftschorle heraus locken können.

Oder ein Flashmob im Landratsamt. Wir bringen um 11:00 Uhr lauter gebasteltete Blümelein, gehen in jedes Zimmer, jeden Sitzungsraum und bekleben damit die Fenster, während wir lustige Kinderliedchen trällern. Denn mehr machen wir ja in dem Job ohnehin nicht, oder?

Doch, mir kämen da noch ein paar Ideen. Aber die konnte ich auf der Demo leider keinem erzählen. Die Trillerpfeifen waren einfach zu laut.



Mittwoch, 13. Mai 2015

Streikerei

Ich bin nicht auf die Bahn angewiesen, denn ich kann zu meiner Arbeitsstelle radeln. In den seltesten Fällen brauche ich einen Piloten. Meine Kids sind aus dem Kindergartenalter raus. Allerdings bekomme und versende ich extrem gerne Briefe...

Insofern: Irgendwann trifft es mich dann doch. Diese Streikerei.

Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich schwer darunter leide. Denn meine Post kommt dann eben ein paar Tage später. Das passt schon.

Erstmals in meinem Leben soll/darf ich jetzt aber selbst streiken. Denn: Seit ein paar Wochen bin ich wieder als Erzieherin eingestiegen. Teilzeit-Erzieherin.


Das habe ich vor vielen Jahren mal gelernt. Satte 4 Jahre hat die Ausbildung gedauert. Als ich selbst Kinder bekam, hab ich mein Zertifikat eingetütet und war als Erzieherin quasi ausschließlich im Homeoffice tätig.

Dreizehn Jahre später bin ich jetzt also zurück in den Beruf gerutscht. Die Stellenausschreibung war aber auch gut: Erzieherin in Teilzeit - für das Mal-Atelier. Ich hab die Anzeige gelesen und dachte: "Hey, die suchen ja mich!"

Ich bin tatsächlich fast ausschließlich für das Kreative in der Einrichtung zuständig. Ich habe keine Gruppe zu leiten und muss keine Elterngespräche führen. Ich bin einfach da und biete Kleckserei-Matsch-Projekte an. Also so zum Beispiel. Das sind quasi die Sahnehäubchen im Erzieherdasein.

Mir geht es also wirklich prima. Klar, der Verdienst (zumal in Teilzeit) ist nicht die Wucht. Davon allein kann man keine großen Sprünge machen. Aber das wusste ich schon, bevor ich diese Ausbildung gemacht habe. Das weiß jeder, der in einen Beruf aus der sozialen Sparte einsteigt.
Warum also sollte ich mitstreiken? (Denn das tue ich nächste Woche...)

In erster Linie aus Solidarität zu meinen Koleginnen. Die haben nämlich, im Gegensatz zu mir, das auszubaden, was sich in Deutschland Bildungspolitik schimpft. Schickt die Kinder früh in Krippe, KiGa und Hort! Dort werden alle suuuper betreut! Ist viel besser als bloß daheim! Ach, und ihr als Eltern, könntet Ihr bitte so freundlich sein und derweil ein bissle was fürs Bruttosozialprodukt beitragen?

So haben wir jetzt einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz. Fein!
Darüber hinaus hat man einen sogenannten Orientierungsplan geschaffen. Das ist so was ähnliches wie der Lehrplan in der Schule. Da gehts lang! Da wollen wir hin! Das sollen die Kids drauf haben!

Was man leider verpennt hat, war die Tatsache, dass das alles nicht nur bedeutet, an den Kindergärten eine Krippe und an den Schulen einen Hort anzubauen. Nein, man hätte auch auf die Idee kommen können, dass mehr Kinder und mehr "Bildungsauftrag" plus zusätzliche Dokumentation für jedes Kind irgendwie nicht ganz aufgeht - wenn man dafür nicht auch mehr Erzieher einstellt. Oder die Kinderzahl pro Gruppe runterschraubt.

Meine Stelle (die mit dem Malatelier) ist nur deshalb entstanden, weil im Normalbetrieb mit 25 Kindern auf 2 Erzieherinnen an Klecksereien und Gematsche gar kein Gedanke mehr verschwendet werden kann. Denn jedes Kind bekommt heute ein Portfolio, wird einzeln beobachtet und seine Lern- und Entwicklungsschritte müssen nach einem bestimmten Schema dokumentiert werden. Für jedes Kind wird dann einmal im Jahr ein Elterngespräch geführt, um über eben diese Dokumentation zu informieren und mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. Daraus entstehen u.U. auch Kooperationen mit Logopäden, Heilerziehern etc...


Wir sollen Inklusion leben. Aber möglichst ohne Schulung, ohne Reduzierung der Gruppenstärke oder sonst irgendeiner Hilfe.

Seit einiger Zeit gibt es Flüchtlingskinder in den Einrichtungen. Sie können unsere Sprache nicht, sind u.U. schwer traumatisiert und sollen einfach mal so in den Kindergarten gehen. Funktioniert leider nicht so gut, wenn man als KiTa-Team keinen Übersetzer, keinen Therapeuten, keinen Ansprechpartner für diese Thematik hat. Dafür mischen solche Kids den Alltag ordentlich auf. Diese Hilflosigkeit gegenüber dem Leid und diesen gebeutelten Kids ist nur schwer auszuhalten. Eigentlich müssten die den ganzen Tag einen Schoß oder wenigstens eine Hand für sich ganz alleine haben. Geht aber nicht. Weil Max ist gerade auf dem Klo und braucht Assistenz, Jacob hat eben der Jolie eine gepfeffert und eine Mutter steht im Türrahmen und würde gerne mal ganz kurz was abklären.


Im Nachbarkindergarten sind 2 Stellen seit Monaten vakant. In jeder Zeitung werden Erzieherinnen händeringend gesucht. Erzieher nochmal mehr! Viel zu wenige Frauen und fast keine Männer streben diesen Beruf überhaupt noch an.
Das treibt manchmal seltsame Blüten: LINK
Wer nix mehr zu verlieren hat, den schulen wir geschwind um: Zur Erzieherin!
Zwei Fliegen - eine (große) Klappe!

Ich streike also mit. 
Weil es so irgendwie nicht weitergeht. 
Weil sich die Perspektiven ändern müssen.

Statt für mehr Gehalt, würde ich lieber für kleinere Gruppen,
bessere Fortbildungsmaßnahmen,
intelligenteren Freizeitausgleich streiken.
Oder zumindest gegen das Basteltanten-Image!
Ich würde gerne dafür streiken, dass alle, die glauben, dass der Beruf doch nur so was wie Massenbabysitten ist, zu ner Woche Hospitation verdonnert werden.

Ich für meinen Teil würde also auf die Gehaltserhöhung lieber noch ein paar Jahre warten und stattdessen lieber mehr Leute einstellen. Aber mir leuchtet ein: Wenn wir wirklich wollen, dass solche Berufe wie die der Erzieher oder zum Beispiel Alten- und Krankenpfleger tatsächlich weiterhin von qualifiziertem Personal erlernt und ausgeübt werden, dann müssen wir diese auch entsprechend vergüten.