Und sprachlos.
Und irgendwie schäme ich mich auch.
In unserer Lokalzeitung wurde letztens ein Artikel veröffentlicht, bei dem es um die Räumung einer Turnhalle ging. Turngeräte raus - Matratzen und Spinds rein.
Denn demnächst werden Flüchtlinge erwartet. Und zwar so viele, dass man sehr schnell viel Raum braucht. Drum muss die Turnhalle herhalten.
Dann wurde ein Foto gezeigt. Von der "eingerichteten" Halle.
![]() |
Badische Zeitung | Foto: Oliver Huber |
Noch mehr davon:
Fotos: Müllheimer Turnhalle bereit für Flüchtlinge (Fotogalerie veröffentlicht am 14. November 2014 auf badische-zeitung.de )
Keine Frage: Die Halle ist sauber, ordentlich, warm. Mehr ist für den Anfang einfach nicht drin.
Die meist ehrenamtlichen Helfer haben in kürzester Zeit richtig was geschafft! Hut ab! Wie viel Schweiß und Arbeit steckt in der "Umfunktionierung"!
Ich habe den Hinweis auf den Artikel auf der Facebookseite der Zeitung gelesen und was dort dann an Kommentaren veröffentlicht wurde, hat mir echt die Sprache verschlagen.
Da war plötzlich von dem Pack die Rede. Von Kriminellen und Vergewaltigern. Von Schmarotzern, Harz4-Anwärtern. Davon, dass wir doch schon genug leisten. Und dass man den Kindern doch nicht einfach die Halle wegnehmen kann! Schon gar nicht für dieses Gesindel...
Und auch wenn es hier und da Gegenstimmen gab, da schaukelte sich ordentlich Empörung hoch. Wie wir Deutschen doch immer zur Kasse gebeten werden. Wie sich die Merkel nie um ihr eigenes Volk schert. Und wie das Geld so viel besser in die eigene Bevölkerung investiert gehört...
Irgendwann schaltete sich die Zeitung dazwischen und bezog mal Stellung.
Aber egal, welche Argumente auch erbracht werden - man hat so seine Meinung. Und da bleibt man auch bei.
Ich kann die Sorge verstehen: Da ziehen zig Fremde in die Nachbarschaft. Alle auf einen Haufen. Alle haben irgendwie etwas Drastisches erlebt, um den langen Weg nach Deutschland in Kauf zu nehmen. Ob es da Probleme geben wird? Ganz sicher sogar!
Es wäre sinnvoller, die Leute in kleineren Gruppen unterzubringen. Vielleicht sogar mit Familienanschluss. Aber das geht leider nicht. Zu teuer.
Sollten da tatsächlich Kriegsflüchtlinge kommen, bräuchten sie nicht nur ein Dach über dem Kopf und regelmäßige Mahlzeiten. Diese Menschen brauchen Sicherheit, das Wissen, dass ihnen niemand etwas Böses will. Die Offenheit, das Erlebte ansprechen, aussprechen zu dürfen. Menschen, die ihre Kultur und ihre Sprache verstehen. Traumatherapeuten, Psychologen, Übersetzer...
Da ist so eine Turnhalle wirklich das Minimum.
Interessanterweise haben die meisten Leute gar nicht auf den "echten" Flüchtlingen herum gedroschen. Die aus den Kriegsgebieten. Nein, bei denen geht das irgendwie in Ordnung, denn in der Regel wollen die ja wieder zurück... Hoffentlich.
Aber die bösen Wirtschaftsflüchtlinge?
Darüber könnte ich mich so unglaublich aufregen. Dass man Menschen den Vorwurf macht, nach etwas Besserem zu streben. HALLO?
Ich würde mal behaupten: Das ist normal!
Das ist nicht böse oder verwerflich, sondern ein Thema der gesamten Menschheit.
Die meisten unserer Märchen handeln davon! Dass einer auszieht, sein Glück zu suchen...
Wir sind immer nach der Suche nach dem "mehr". Und wer finanziell eng dran ist und Aussicht auf einen lukrativen Job im Nachbardorf, -Ort, -Land, -Kontinent hat, der packt seinen Mut zusammen und dann sein Bündel. Und zieht los...
Von Ost nach West.
Von Süd nach Nord.
Über den großen Teich.
Oder über eine Mauer.
Die Geschichte wird immer weitergehen. Die von dem, der auszog, sein Glück zu suchen.
Wie kommen wir also auf die bekloppte Idee, anderen daraus einen Vorwurf zu machen?
Das ist doch die Parole der westlichen Zivilisation: Vom Tellerwäscher zum Millionär! Hier ist alles möglich! Versuch Dein Glück!
Klar, ich Gutmensch bin total naiv! Die wollen doch nur an unser Geld!
Die wollen tatsächlich Geld. Nur nicht unbedingt auf die Weise, wie sie es jetzt bekommen. Die würden dafür auch glatt arbeiten. Tellerwäscher und so... Aber leider dürfen sie das nicht. Da knirscht was gewaltig im System: Die Menschen kommen her, um Geld zu verdienen, um ein besseres (ja auch wohlhabenderes) Leben zu führen. Mit Verlaub, das machen wir Deutschen doch auch ständig, oder?
Aber die dürfen sich hier weder in ihrem erlernten Beruf, noch als Hilfsarbeiter nützlich machen. Ja, das ist frustig, wenn man tagein, tagaus in einer Turnhalle lebt und NICHTS zu tun hat. Ja, das gibt garantiert Streit und Stunk. Und junge Leute, die nix zu tun haben, sich langweilen und Frust schieben, die machen Mist. Das ist in Damaskus so wie in Wanne-Eickel. Das hat mit Kultur und Religion erst mal nichts zu tun.
Aber wir Deutschen leisten doch schon sooo viel! (Wer sind denn wir Deutschen?)
Jetzt sind wir mal dran!
Diese Parolen sind auch deswegen so unglaublich dumm, weil sie den Vorwurf "die wollen nur unser Geld" wie einen Bumerang zurückwerfen.
Denn die wollen zwar unser Geld, aber wir wollen es noch viel doller! Und in jedem Fall mehr, als wir momentan haben. Denn es ist nie genug!
Und deshalb ist auch der Fußballclub in der Halle voll viel wichtiger, als irgend solche Spinner zu unterstützen, die den ganzen Tag auf der faulen Haut (und uns auf der Tasche) liegen.
Ganz ehrlich: Ich bin sehr dankbar, dass ich nicht in einer spärlich möblierten Turnhalle ohne jede Privatsphäre Däumchen drehen muss. Ich bin dankbar, dass ich derzeit in einem Land lebe, in dem es die scheinbar größte Sorge ist, ob meine Kinder die Halle nutzen können.
Ich bin dankbar, genug zu haben. (Auch wenn mein Wunschzettel mir etwas anderes weismachen möchte.)
Ich bin dankbar für vertraute Straßen, Sprache, Kultur.
Nicht meine Familie, meine Heimat hinter mir lassen zu müssen, um nach dem Glück zu streben.
Klar, die Flüchtlingsproblematik ist nicht ohne. Sie ist auch nicht heute lösbar. Ich habe sie auch nicht bis ins Detail verstanden, begreife politisches Tauziehen nicht, vermisse weise und vorausschauende Ideen für Länder, in denen es brodelt. Aber: Das ist auch gar nicht meine Baustelle.
Meine Baustelle ist hier: Im Zusammenleben mit dem Fremden. Eine irre Herausforderung!
Aber Ängste schüren, platte Parolen ausrufen, das hilft gar nicht.
Denn eines ist klar: Die Menschen kommen!
Stacheldraht kaufen oder Kuchen backen?
Alarmanlage installieren oder Kleider sammeln?
Ach übrigens... die Hauptakteure des Krippenspiels, das sich in wenigen Wochen eine Menge Menschen reinziehen werden... das waren Leute, die aus politischen Gründen unterwegs waren. Gezwungenermaßen fern der Heimat in der denkbar beknacktesten Situation, die man sich so zum Reisen ausdenken kann...
Wer Weihnachten feiert, kann auch Turnhallen öffen.
Wir schaffen das! Mit ein bissle Verzicht und Genügsamkeit.
Und einem kleinen, gewagten Blick über den Tellerrand.
Ich kann dir einfach nur zustimmen ! Denn etwas vergessen Menschen die "so denken" . Die "Anderen" sind auch einfach nur Menschen. Woanders hin zu gehen oder etwas zu tun damit es einem besser gehen kann ist menschlich. Jeder würde mehr oder weniger für sich selber "das Recht/den Wunsch" in Anspruch nehmen.Es anderen nicht "gestatten" ist mit zweierlei Maß messen. Ängsten mit Hass begegnen wird sicherlich niemals eine "zu-FRIEDEN-stellende" Lösung bringen.
AntwortenLöschenHerzlichen Dank. Ich habe den Link geteilt auf der facebookseite des Arbeitskreis Asyl Metzingen.
AntwortenLöschenTja, den Leuten mit Vorurteilen, Abneigung, gar Hass begegnen - und sich dann wundern, wenn sie sich irgendwann fragwürdigen oder gar gefährlichen Gruppen anschließen, weil sie dort eine Daseinsberechtigung haben und dazugehören dürfen.... Traurig und nicht sehr weit gedacht.
AntwortenLöschen